Boy Boy

Ich schreibe diesen Artikel dort, wo Sie ihn jetzt wahrscheinlich lesen. Im Homeoffice. Aus dem Schlafzimmer höre ich meinen Freund telefonieren. (Richtig gehört, er arbeitet im Schlafzimmer.) Das ist liebevoll verordneter Abstand. Nicht aus Angst vor Corona – wir leben schließlich im selben Haushalt –, sondern zum Schutz unserer Gemütszustände. Nach zwei Tagen gemeinsamen Homeoffice am Esstisch war uns beiden klar: das funktioniert nicht. Wenn mein Gesprächspartner am Telefon sich fragt, welche männliche Stimme ihm da gerade etwas über die Bestellung neuer Druckerpatronen erzählen will, obwohl es doch um was ganz anderes geht, dann ist das das erste Anzeichen dafür, dass das Pilotprojekt „gemeinsamer Arbeitsplatz“ misslungen ist. Es folgten viele weiterer solcher Zeichen, zum Beispiel ein genervtes Augenrollen von meinem Gegenüber, weil ich ihm mit Blicken den Mund verbieten will. Das Resultat – wie gesagt: liebevoll verordneter Abstand. Jedenfalls von 8 bis 18 Uhr, mit Ausnahme der Mittagspause. Und das funktioniert ganz gut.

Liebevoll verordneten Abstand könnte man auch das nennen, was wir alle gerade tun. Indem wir so viel Zeit wie möglich zu Hause verbringen. Wir schützen einander, indem wir Abstand voneinander halten. Distanz wird zum neuen Ausdruck von Nähe. Klingt paradox – und das ist es auch. Wir halten zusammen, indem wir uns nicht sehen. Und obwohl wir uns nicht sehen, müssen wir zusammenhalten. In Zeiten, in denen wir physisch auseinanderrücken müssen, wird emotionales Zusammenrücken umso wichtiger. Wir entwickeln eine neue Art von verantwortlicher Wahrnehmung empfundener Nähe. Das klingt gut und ist doch leichter gesagt als getan.

Der 13. März war der letzte Tag, an dem ich meine Kollegen sah. Ironischerweise ein Freitag der 13. Corona war uns schon verdammt nahegekommen, von baldigen Ausgangssperren war die Rede. Bei uns im Unternehmen wurde ein Krisenstab einberufen, um sich mit der neuen Situation zu beschäftigen. Das nahm ich wohlwollend wahr. Es fühlt sich gut an, wenn man weiß, dass die Verantwortlichen sich kümmern. Aber was sollte schon groß passieren – ich würde auch Montag wieder an meinem Schreibtisch sitzen …

 

Pustekuchen. In einer Mail unserer Geschäftsführung (am Nachmittag des Freitages den 13.) erhielten wir die Info, dass wir ab dem kommenden Montag im Homeoffice arbeiten würden. Und hier sitze ich nun, heute den 14. Tag in Folge. Es gibt Tage, an denen finde ich das offen gestanden richtig blöd. Ich bin ein geselliger Mensch, lache gern und viel. Jetzt sehe ich meine Kollegen – um sie zu schützen – nicht mehr jeden Tag. Da fühlt sich die neue Nähe manchmal ziemlich einsam an.

Der erste Tag im Homeoffice (an dem ich übrigens noch allein war, die Firma meines Freundes hatte da noch kein Homeoffice eingeführt) fühlte sich seltsam an. Keine Kollegen neben mir, kein Blick am Morgen in alle Büros mit einem fröhlichen „Guten Morgen!“. Und den Kaffee musste ich mir auch selbst kochen. ;-)

Dann hatte ich das erste Aha-Erlebnis. Und an dieser Stelle folgt nun eine Danksagung an die Kolleginnen, die uns seit über einem Jahr in das Remote-Arbeiten eingeführt hatten. Ein Tool für Videocall-Meetings hatten wir deshalb nämlich schon – ein Stück Gewohnheit in ungewohnten Zeiten. Danke!

Neben der (scheinbaren) Einsamkeit machte mir aber auch ein sich munter drehendes Gedankenkarussell zu schaffen. Von außen prasseln täglich, teilweise stündlich Negativschlagzeilen auf uns ein. Die Wirtschaft rutscht in die Krise, Kurzarbeit wird diskutiert … Da kommen automatisch die Fragen, die wir uns wahrscheinlich alle in diesen Zeiten stellen. Wie geht mein Arbeitgeber mit dieser Krise um? Sind unsere finanziellen Polster groß genug, um das zu überstehen? Und muss ich mich eigentlich fragen, ob mein Arbeitsplatz in Gefahr ist?

Da habe ich am eigenen Leib gespürt, warum Kommunikation in krisenhaften Zeiten ein absolutes Muss ist. Und warum die proaktive Form davon die beste ist. Gleich am zweiten Tag im Homeoffice fand ein digitales Team-Meeting statt, in dem es darum ging, wie wir als Unternehmen nun weitermachen würden. Wie wir uns handlungsfähig halten, was sich verändert und wie die Führungsebene zu den aktuellen Entwicklungen steht. Wir haben also einen Plan. Wir wissen, was wir tun. Da dreht sich das Karussell im Kopf gleich schon spürbar langsamer.

 

Allein zu Hause zu arbeiten heißt auch, noch stärker auf die eigenen Strukturen achten müssen. Das fängt bei „Muss ich überhaupt aus meinen Schlafklamotten raus?“ an und hört bei „Doch, ich ziehe mir statt der bequemen Jogginghose eine ordentliche Jeans an! Auch, wenn die keiner sieht …“ auf. Einfach nur fürs Gefühl.

Zu dieser Einsicht zu gelangen, haben mir unter anderem unsere neu eingeführten täglichen Meetings geholfen. Wir haben unser wöchentliches Team-Meeting zu einem täglichen Team-Meeting weiterentwickelt. So beginnt jeder Arbeitstag mit einem gemeinsamen Termin. Ein Stück Struktur, an der man sich orientieren kann. Mal geht es um den aktuellen Stand von Projekten. Mal um neue Entwicklungen rund um Corona. Und manchmal auch einfach darum, wie es uns gerade allen so geht.

Einander zu fragen, wie es uns geht, ist für mich eines meiner „Krisen-Werkzeuge“ geworden. Wir führen diesen Lebens- und Arbeitsstil zwar genau deswegen – damit es uns allen hoffentlich weiterhin gut geht. Aber er stellt uns eben auch vor neue Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen. Eine davon ist, dass wir einander nicht mehr so „mitkriegen“ wie sonst. Wir sehen uns schließlich nicht und per Telefon empfängt man nicht alle Signale der nonverbalen Kommunikation.

Deshalb bin ich dazu übergegangen, neuerdings jedes Telefonat mit einem „Geht es dir gut?“ einzuleiten. Und ich freue mich, wenn mein (virtuelles) Gegenüber sich auch nach mir erkundigt. Zusätzlich haben wir bei boy ein „Buddy-Prinzip“ eingeführt. Jeder Mitarbeiter hat einen Buddy, mit dem er sich so oft wie möglich austauscht. Ich rufe meinen Buddy regelmäßig an, wir tauschen uns darüber aus, wie es uns geht, telefonieren während unseres mittäglichen Spaziergangs. Da fühlt sich das Alleinsein gleich schon nicht mehr so einsam an.

 

In solchen Telefonaten darf man sich auch mal ganz getrost darüber auslassen, dass einem die aktuelle Situation manchmal auf die Nerven geht. Mir persönlich hilft dagegen auch immer Ablenkung. Mal über was anderes reden. Nicht über das Virus oder dessen Auswirkungen. Sondern über das letzte lustige Video, das meine Mutter mir geschickt hat. (Eines der Dinge, die sich auch in Zeiten von Corona nicht geändert haben. Danke Mama!) Das Prinzip des gemeinsamen Lachens haben wir für uns intern noch etwas weiter gestrickt. Unter dem Motto „Sharing is Caring“ haben wir in unserem internen Chat-Programm einen Channel eingerichtet, in dem wir alles teilen, was uns gegenseitig ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Ein lustiges GIF, Babyfotos oder schräge Videos, zu denen wir uns austauschen können.

Das Paradox der neuen Nähe stellt uns aus unternehmerischer Sicht nicht nur wirtschaftlich vor extreme Herausforderungen. Es stellt auch unser internes Zusammengehörigkeitsgefühl spürbar auf den Prüfstand. Viele kluge Köpfe haben dazu schon viele kluge Tipps und Thesen aufgestellt. Die folgenden Learnings, aufbauend auf den oben geschilderten persönlichen Erfahrungen und ergänzt um meine Sicht als Kommunikationsberaterin, dürfen als Ergänzung dessen verstanden werden. Sie alle haben eine Kernbotschaft gemein: Die Wahrnehmung einer Krise ist steuerbar durch Kommunikation.

Learning 1: Offene Worte für offene Ohren.
In Krisenzeiten bekommt das gute alte „Man kann nicht nicht kommunizieren“ eine ganz neue Bedeutung. Nicht zu kommunizieren schafft in Krisenzeiten Nährboden für Gerüchte, Unsicherheit und Angst. Transparenz wird in der internen Kommunikation zu einem der entscheidendsten Tools. Und sie trifft auf offene Ohren. Wenn äußere Umstände in krisenähnliche Zustände übergehen, wünschen sich Menschen Informationen. Das Bedürfnis nach Information und Kommunikation der Mitarbeiter und Kollegen zu befriedigen, proaktiv und mit klaren Worten, schafft inneren Frieden.

 

 

Learning 2: Wertekommunikation stärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl.
Neben dem Informationsbedürfnis steigt in scheinbar unsicheren Zeiten auch das Bedürfnis nach Führung und festen Orientierungspunkten. Es gibt uns Halt, wenn wir wissen, auf welchen gemeinsamen Werten unsere Gemeinschaft gebaut ist. Ein gemeinsames Werteverständnis verbindet die Belegschaft – besonders in Krisenzeiten.Wir dürfen daher in unseren Äußerungen besonders stark betonen, was uns im Unternehmen zusammenhält. Für Zusammenhalt trotz verordneter Distanz muss die Führung Werbung machen und mit gutem Vorbild vorangehen, denn Zusammenhalt und Loyalität machen krisenfest.

 

Learning 3: Wer fragt, der führt.
Das Fragen ist für uns als Strategen unser wichtigstes Tool. Mit den richtigen Fragen erheben wir richtungsweisende Ergebnisse für die Lösung der gestellten Aufgabe. Das gilt in Zeiten von Corona umso mehr und zwar vor allem für die interne Unternehmenskommunikation. Wir dürfen einander mehr fragen.Wie geht es dir? Wie fühlst du dich? Wie kommst du mit der Situation zurecht? Wenn wir einander nicht physisch gegenüberstehen, entfallen wichtige Informationen der nonverbalen Kommunikation. Durch aktives Fragen können wir dieses Defizit wieder etwas ausgleichen.

 

Learning 4: Wir brauchen neue (digitale) Wege des Zusammenkommens.
Das Verlegen der gesamten Belegschaft ins Homeoffice erschwert nicht nur den Kontakt zwischen Führungskräften und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, sondern auch den innerhalb der Belegschaft selbst. Umso wichtiger wird in Zeiten von Corona das Teambuilding.Auch die Beziehungen eines Teams, das schon lange gut miteinander arbeitet, sich mag und einen starken Zusammenhalt hat, werden jetzt auf die Probe gestellt. Wie wäre es mit einem Läster-Channel?

 

In diesem Moment kommt mein Freund aus dem Schlafzimmer. Feierabend für heute. Der Schreibtisch wird wieder zum Esstisch. Der Laptop wandert in die Schublade. Ich schmunzle über einen Feierabend-Gruß meines Kollegen im „Sharing is Caring“-Channel. Was da drinsteht, bleibt geheim. Ist schließlich interne Krisenkommunikation. ;-)

 

Add-On: 10 Zutaten für eine gelungene Telefonkonferenz

Wir telefonieren im Moment so viel wie noch nie. Ein großer Anteil an unseren Telefonminuten (oder Stunden) am Tag besteht zudem aus Telefonkonferenzen. Und zwar nicht nur mit externen Gesprächspartnern, sondern häufig auch in internen Runden. Und das wird auch schnell mal unübersichtlich. Je größer die Runde, desto komplizierter wird es. Und dann fällt man sich (technisch bedingt) auch noch ständig ins Wort.

 

Es gibt ein paar einfache Zutaten, die bei richtiger Benutzung und Dosierung dabei helfen, jede Telefonkonferenz strukturiert durchzuführen, alle Teilnehmenden mitzunehmen und am Ende mit einem guten Ergebnis rauszugehen. Wichtig ist dabei nicht nur ein inhaltlich befriedigendes Ergebnis, sondern auch die Zufriedenheit der Teilnehmer.

 

Man nehme:

01. Einen Moderator: Das A und O einer erfolgreichen Telefonkonferenz ist der Moderator. Er leitet das Gespräch, achtet darauf, dass alle zu Wort kommen und behält im Blick, dass jeder seinen Beitrag leisten kann.

02. Eine Einigung über die technische Ausstattung: Wie lauten die Einwahldaten? Ist die Verbindung bei allen Teilnehmenden gut genug? Vor der Telefonkonferenz sollte sichergestellt werden, dass alle die technischen Daten kennen und gut ausgestattet sind. Das erspart langes Warten nach Beginn des Meetings, weil Kollege xy noch keine Einwahldaten hatte.

03. Eine gute Vorbereitung: Gibt es Dokumente, die allen Teilnehmenden vorliegen müssen? Sollten sie vor dem Termin etwas gelesen oder gesehen haben? Außerdem ist eine ordentliche Terminierung erforderlich in Zeiten, in denen alle an einem anderen Ort sitzen. Wann findet die Telko statt, wie lange wird sie ungefähr dauern und wer wird dabei sein? Eine ordentliche Terminierung ist der erste Schritt zur erfolgreichen Durchführung.

04. Eine Rollenverteilung: Bei Gesprächsbeginn wird festgelegt, wem welche Rolle zukommt. So fühlen sich alle einbezogen und wissen, was von ihnen erwartet wird.

05. Einen Protokollführer: Eine wichtige Rolle ist die des Protokollierenden. Er sichert die Ergebnisse ab, so dass damit später weitergearbeitet werden kann.

06. Einen Sinn und ein Ziel: Wenn alle wissen, warum das Meeting stattfindet und welches Ziel es hat, gelangt man schneller zu einem Ergebnis. Optimalerweise wird der Sinn am Ende des Meetings wiederholt. So lässt sich einfach überprüfen, ob das erarbeitete Ergebnis auch zielführend ist.

07. Die Regel, einander mit Namen anzusprechen: In Telkos fehlt der Blickkontakt. Der lässt sich dadurch ersetzen, dass die Teilnehmenden einander immer mit Namen ansprechen, wenn sie sich direkt auf einen Beitrag dieses Teilnehmenden beziehen.

08. Eine Agenda: Am besten gelingt eine Telefonkonferenz, wenn es eine Struktur gibt, an der sich alle orientieren können.

09. Die Verteilung von Wortmeldungen: Man sieht in einer Telefonkonferenz nicht, wenn sich ein Teilnehmer zu Wort melden will. Der Moderator darf deshalb ausdrücklich nach Wortmeldungen fragen und, damit sich keiner unbeabsichtigt ins Wort fällt, den Teilnehmenden auch nacheinander das Wort erteilen.

10. Eine Verteilung von Aufgaben: Besonders interne Telefonkonferenzen münden meist darin, dass nun weitere Schritte anstehen. Wer welche Aufgabe übernimmt, sollte noch in der Telko geklärt werden, damit danach alle arbeitsfähig sind und effizient weiterarbeiten können.

 

Man füge bei Bedarf hinzu:

01. Worte für Unsichtbares: Da sich die Teilnehmenden in einer Telefonkonferenz nicht sehen, kann es helfen, Unsichtbares zu verbalisieren.

02. Nachfragen, wenn es still wird: Der Moderator darf in Momenten der Stille die Führung übernehmen und aktiv Reaktionen erfragen.

03. Zwischenfazits: Vor allem nach längeren Redebeiträgen hilft es allen Teilnehmenden, wenn der Moderator das Gesagte noch einmal in kurzen Worten zusammenfasst.

 

Kriske Heinemeier
entdeckt als studierte Kommunikationswissenschaftlerin in einer so noch nie dagewesenen Krisenzeit, vor welche Herausforderungen uns die neue Nähe stellt. Ihre Erfahrungen bringt sie in die Konzeption krisenfester Markenkommunikation und in die Organisationsentwicklung für ihre Kunden ein.