Boy Boy

Zusammenhalten durchs Radio

Wie jeden Morgen machte ich schlaftrunken das Radio an. Nur war dieser Morgen nicht wie jeder Morgen. Wir hatten Corona-Krise. Alles war anders. Und während ich mich – als bekennende Radiohörerin und Radiomarktforscherin – noch beim Abklingen des Liedes fragte, wie schnell wohl Radiosender auf die neue Situation umstellen würden, wie sie diese kommunikative Herausforderung annehmen, ertönte Volker Mittmann:

„Ich habe jetzt dreißig Jahre R.SH auf dem Buckel … und davor sechs Jahre Polizeidienst. Ich habe Börsen stürzen sehen, Bäume in Schleswig-Holstein, die vom Orkan wie Streichhölzer umgeknickt wurden, und so viele Schrecksekunden und Sondersendungen moderiert, dass ich dachte, mich kann nix mehr überraschen … und dann kommt Corona … und es fehlen mir die Worte … aber nur fast, denn über allem steht ein Satz, der heute mehr zählt als je zuvor: Zusammen sind wir Schleswig-Holstein!

Und so krempeln wir von R.SH die Ärmel hoch: packen an, sortieren, informieren, räumen mit Fake News auf und berichten über das, worauf es wirklich ankommt. Und das mit Fingerspitzengefühl statt mit der Brechstange. Und wir tun es gemeinsam … rufen Sie gerne an. Erzählen Sie uns von Ihren Erlebnissen im Alltag, Ihrem Umgang mit den Auflagen und Einschränkungen … Ihren Gefühlen zur Corona-Pandemie … oder sagen Sie uns einfach mal Ihre Meinung …“

Sofort stellte sich bei mir ein gutes Gefühl ein. Wir kommen da durch, irgendwie schaffen wir das. Bei dem Gedanken musste ich schmunzeln. Fühlst du dich jetzt echt erleichtert, weil Volker das gesagt hat? Irgendwie schon … und dann schaltete sich die Ratio in meinem Kopf wieder ein, die feststellt: Ja, Radio kann sich schnell auf neue Situationen einstellen!

 

In Zeiten einer noch nie dagewesenen sozialen Isolation wird den Menschen bewusst, dass das Thema Zusammenhalt und kommunikativer Austausch essenziell ist. Wir möchten das Leben miteinander teilen. Wir möchten unsere Erfahrungen weitergeben. Wir möchten voneinander hören. Wir möchten nicht allein sein. Und genau das ist die Chance fürs Radio.

Eine aktuelle Studie* belegt, dass 52 Prozent der Bevölkerung das Medium Radio für unverzichtbar halten. Im Alltag nimmt es eine Spitzenposition im intermedialen Vergleich ein und bekommt in Krisenzeiten eine noch größere Bedeutung. Betrachtet man die Zielgruppe der 14–49-Jährigen, genießt das Radio im gesamten Medienmix das größte Vertrauen. Für Radioverantwortliche ein tolles Ergebnis – verbunden mit großen Aufgaben.

Welche Aufgaben das sind, frage ich Dirk van Loh. Als Geschäftsführer von REGIOCAST – ein deutschlandweit agierendes Radiounternehmen – kümmert er sich um das Thema Radio und ist damit auch für den Radiomarkt Schleswig-Holstein verantwortlich.

Stefanie Giese:  Warum ist Radio ein Vertrauensmedium?

 

Dirk van Loh: Radio ist zunächst ein emotionales Medium. Ich habe den Eindruck, dass Vertrauen sehr viel mit Emotionen zu tun hat. Vertrauen ist nicht immer nur an Fakten gebunden, sondern Vertrauen ist häufig eine subjektiv gefühlte Beziehungsqualität. Radio transportiert Emotionen natürlich durch die Musik, aber auch durch die für die Menschen vertrauten Stimmen der Moderatoren. Wenn diese Moderatoren dann auch noch durch die Art zu reden signalisieren, dass sie „von hier“ sind und die gleichen Themen im Alltag teilen, so schafft das Verbundenheit, ja sogar ein Stück Heimat. Und das wiederum schafft Vertrauen.

Ein guter Moderator schafft es, über genau die Themen zu sprechen, welche die Menschen bewegen – wie jetzt beim Thema Corona. Und dabei zu wissen, welche Fragen sich die Menschen beispielsweise bei solch einem Thema stellen. Das schafft Nähe, was gerade wirklich wichtig ist. Das schafft Verbundenheit.

TV wirkt bereits als Medium häufig abgehoben, artifiziell. Ein guter Radio-Moderator vermittelt hingegen auch immer das Gefühl, dass man mit ihm wie mit einem guten Freund mal zum Fußball oder ins Kino gehen möchte, um mich danach oder dabei über ganz normale Alltäglichkeiten mit ihm zu unterhalten.

Außerdem ist Radio häufig appellhaft, wie die nette Mama, die sagt: Das musst du so machen ... Aber im besten Wissen, dass die Realität häufig komplexer ist. Mit dem Appell wendet sich ein Programm wie R.SH häufig an den Gemeinsinn, um die Fähigkeit der Menschen, miteinander zu leben und sich füreinander einzusetzen, zu fördern. Es schafft dadurch nicht nur Orientierung, sondern vermittelt Zusammengehörigkeit, es ist sozusagen eine Art „sozialer Kitt“, der die Menschen verbunden fühlen lässt. Gerade R.SH ist über die Jahre in diese Rolle stark hineingewachsen und diese Rolle ist auch Basis des großen Erfolgs. Neben R.SH sehe ich im Radiosegment nur Antenne Bayern, denen diese gewachsene Verbundenheit mit den Menschen vergleichbar gelungen ist.

 

Giese: Ihr habt bei R.SH sehr schnell umgestellt. Habt ihr das in der REGIOCAST-Gruppe grundsätzlich besprochen oder habt ihr das den einzelnen Sendern überlassen?

Van Loh: Wir haben seit Jahresanfang einen Chief Content Officer (CCO), der zentral mit den jeweiligen Programmverantwortlichen die Strategien bespricht. Vieles läuft jedoch wie ein Uhrwerk, die Leute sind ja hochprofessionell. Profis wie Volker Mittmann, Tanja Puttfarcken oder die Redaktionsleitung wissen genau, welche Themen sie jetzt bespielen müssen, die muss keiner mehr anschieben, um das zu erzeugen, was ich eingangs skizziert habe. Das steckt denen im Blut und da ist auch viel Leidenschaft dabei.

Aus einer zentralen Management-Perspektive gibt es eher so Themen wie zum Beispiel: Wo haben die Programme Gemeinsamkeiten? Was sind jetzt die richtigen Wordings/Texte für die On-Air-Kommunikation wie Jingles, Trailer etc.? Wie können wir die Themen in den Social-Media-Kanälen kommunizieren? Wo kann ich individuelle Lösungen zentral unterstützen? Wie können wir die Themen im Podcast hochfahren? Beispielsweise durch „Schlaulicht“ für Kinder, wo Corona und andere Dinge erklärt werden.

 

Giese:  Wie die allerneueste Studie von RMS zur Mediennutzung während der Corona-Pandemie zeigt, genießt Radio in Schleswig-Holstein mit 78 Prozent das meiste Vertrauen in der Mediennutzung. Regionale Tageszeitungen folgen deutlich weiter hinten mit 56 Prozent, TV liegt bei 53 Prozent.** Mal überspitzt gefragt: Müsst ihr überhaupt noch etwas tun?

Van Loh:  Ja, unbedingt! Wir müssen uns auf unsere Stärken konzentrieren und diese Stärken mit aller Kraft ausspielen. R.SH hat gerade dieser Tage durch die aktuelle Mediaanalyse seine führende Stellung attestiert bekommen: Wir haben einen Marktanteil von knapp 30 Prozent – das ist mehr als NDR 1 und NDR 2 zusammen. Nur leider bekommen wir diese historisch grandiosen Zahlen durch Corona aktuell nicht monetarisiert. Circa 70 Prozent der Werbepartner haben wegen Corona ihre Werbeinvestitionen zurückgefahren oder sogar ganz eingestellt. Das ist gerade besonders bitter.

 

Giese:  Das ist hart! Was hilft da jetzt?

Van Loh:  Vertrauen! Im doppelten Sinn. Werbekunden können wie die Hörer auch zum Beispiel der Radiomarke R.SH vertrauen. In der Krise und natürlich auch danach. Hörer-Vertrauen in eine Radiomarke ist ein absolutes Verkaufsargument.

"Hörer-Vertrauen in eine Radiomarke ist ein absolutes Verkaufsargument."

Giese:  Von Radiomarken spricht man in eurer Branche noch nicht so lange. Wie sehr kann man bei R.SH von einer Radiomarke sprechen?

Van Loh:  R.SH ist ohne Zweifel eine Marke. Und zwar eine sehr starke. Wir wissen anhand der von boy durchgeführten qualitativen Marktforschung, dass R.SH ganz bestimmte Assoziationen bei den Menschen hervorruft.

Die Hörer verbinden etwas mit einem Radioprogramm und dessen Markenassoziation und deswegen hören sie diesen Radiosender. Beim TV schaut man einen Film, eine Serie oder eine Sendung. Beim Radio hört man fast durchweg nur ein bestimmtes Programm, „seine“ Marke. Von daher ist es sehr wichtig, als Radiostation ein Markenbild aufzubauen: damit die Hörer auch instinktiv wissen, warum sie diesen Radiosender und nicht einen anderen hören.

Die Musik ist da ein wichtiges Schmiermittel, aber darüber kann man keine Radiomarke aufbauen. Bei speziellen Zielgruppen, wie beispielsweise bei Radio Bob, kann man sich allein über Musik schon eine gewisse Marke im Sinne von Alleinstellung aufbauen, quasi eine Musikmarke. Aber Vertrauen und Nähe bekomme ich nicht über die Musik hin, sondern über meinen Inhalt und die Art der Darbietung.

 

Giese:  Als wir 2014 das erste Mal für REGIOCAST unsere qualitative Marktforschung durchgeführt haben, war es für euch absolutes Neuland. Was hat euch damals von reiner zahlengetriebener Marktforschung zu unserem Ansatz bewegt?

Van Loh:  Wir hatten ja nicht immer nur die besten Zeiten. Damals war sowohl in der offiziellen Mediaanalyse als auch im internen quantitativen Tracking ermittelt worden, dass wir nicht ausreichend gut im Markt stehen. Unser Konkurrent NDR 2 stand mindestens auf Augenhöhe mit uns. Und das hatte mit diversen Programmschwächen bei R.SH und Programmstärken bei NDR 2 zu tun. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass ein Programm wie NDR 2 an R.SH vorbeiziehen kann. Meine tiefste Überzeugung jedoch war, dass nur ein Programm, das den Menschen emotional am nächsten steht, quasi eine emotionale Kongruenz zu den Menschen eines Gebiets wie eine Stadt oder ein Bundesland schafft, Marktführer sein kann.

Das war der Grund, warum ich untersuchen lassen wollte, ob wir irgendwelche Fehler, vor allem in der akustischen Markenführung, machen, die falsche Ansprache an die Menschen haben, die uns daran hindert, eine solche Nähe aufzubauen. Oder schlimmer: Uns distanziert. Wir wollten wissen: Wie denken die Menschen über die Marke R.SH? Und wie denken sie über die anderen Radioangebote im Sendegebiet? Ich kannte boy und wusste, dass ihr uns genau solche Fragen beantworten könnt. Deshalb haben wir boy für eine Studie beauftragt.

 

Giese:  Und was war für dich die wesentliche Erkenntnis?

Van Loh:  Konzentriert euch auf eure Stärken und spielt sie wieder aus. Die Studie zeigte, dass die Marke R.SH total sauber aufgestellt war. Nur das Thema Gemeinsinn – das, was uns einmal stark gemacht hat – sollten wir wieder deutlich stärker bespielen. Und dadurch würde es uns auch gelingen, wieder mehr Nähe zu den Menschen aufzubauen.

"Wir wurden mit R.SH stärker als jemals zuvor."

Giese:  Konntet ihr dieser Empfehlung folgen?

Van Loh:  Ja! Es waren alle Verantwortlichen, auch viele tragende Moderatoren, in diesem Prozess von Anfang an eingebunden, das hat es in der Umsetzung nachher deutlich einfacher gemacht. Mit „Zusammen sind wir Schleswig-Holstein“ haben wir einen neuen Slogan gefunden, der programmlich wie auch Off-Air durch Events oder über unsere Stiftung „R.SH hilft helfen“ glaubhaft umgesetzt werden kann. Das ist etwas, womit eine Radiostation sehr gut arbeiten kann. Daher hat es uns wirklich sehr geholfen, uns damals aus einem absoluten Tief herausgeholt und wieder Glauben an die eigenen Stärken vermittelt. Und der Erfolg hat uns schließlich recht gegeben. Wir wurden mit R.SH stärker als jemals zuvor.

 

Giese: Und zusammen kommen wir jetzt auch durch diese Corona-Krise? Hilft Gemeinschaftssinn?

Van Loh:  Ja, unbedingt und konstruktiv nach vorne denken. Ich glaube, dass wir als Programm, Marke und Unternehmen gestärkt aus dieser Krise hervorgehen werden.

 

Giese: Eine Abschlussfrage: Was hilft dir in der Krise?

Van Loh:  (lächelnd) Gelassenheit.

 

Nach dem Interview drehte ich das Radio wieder lauter. Es lief The Police mit dem Song „Don’t stand so close to me“ … Nicht nah beieinander sein können und sich doch nah sein. Genau das schafft – nicht nur in dieser schwierigen Zeit – das Radio. Und genau das könnten auch andere Marken für ihre Markenführung deutlich verinnerlichen und umsetzen. Wie „nah“ sind Sie an Ihren Nutzern?

Stefanie Giese
Strategieberaterin, Unternehmerin und Kommunikationsprofi analysiert seit vielen Jahren mit qualitativer Marktforschung die Markenpotenziale von Radiosendern unter anderem in Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen.

 

Radio ist für Deutsche unverzichtbar: in Krisenzeiten essentielles Vertrauensmedium, veröffentlicht am 23. März 2020 von Redaktionunter Deutschland.
** Reader’s Digest hat die „Trusted Brands“-Studien 2001 ins Leben gerufen und erhebt seitdem jährlich das Markenvertrauen der Deutschen.
** RMS-Studie: Mediennutzung während der Corona-Pandemie, Vertrauen in Medien pro Bundesland, April 2020.