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Wer das Wort Krisenkommunikation googelt, findet in genau 0,4 Sekunden 400.000 Einträge. Die Regeln, nach denen Krisenkommunikation funktioniert, scheinen also erschöpfend behandelt worden zu sein und sollten jedem klar sein – zumindest den Profis: Pressesprechern, Politikern, Firmenchefs und Vorständen von Institutionen. Wir werden sehen, dass dem nicht so ist. Dabei sind die zentralen Grundregeln einer guten Krisen-PR keine Raketentechnik und leuchten prompt ein:

So ist Schweigen zum Beispiel nicht Gold, sondern in den allermeisten Fällen zieht es den, von dem man etwas hören möchte oder sogar muss, direkt wie Blei unter die Wasserlinie: Abgetaucht. Ein Beispiel gefällig? Als VW vor einiger Zeit mit Vollgas in sein Dieselgate rauschte, kommunizierte der Vorstand in den ersten Monaten so gut wie gar nicht und wenn ja, dann defensiv. Andere – zum Beispiel amerikanische Staatsanwälte – übernahmen die Kommunikation. Ergebnis: Ein Verlust von 30 Milliarden Euro bis heute – und ein Ende ist noch gar nicht abzusehen. Was hätte VW besser machen können? Sich früh äußern, Fehler einräumen, umfangreiche Prüfungen ankündigen, Schuldige präsentieren. Heißt: Offen und so transparent wie möglich kommunizieren.

Adidas: ein klassisches Eigentor

Wenn man sich in der Krise äußert, sollte man aber nicht mehr Fragen aufwerfen, als man beantworten kann beziehungsweise auf keinen Fall nur Kopfschütteln hervorrufen: Hier wird mit Sicherheit Adidas als „best practice“ für komplettes Versagen in die Annalen eingehen. Der Sportkonzern hatte vor Kurzem auf dem Höhepunkt der Krise nichts Besseres zu tun, als anzukündigen, er werde vorerst keine Miete mehr für seine 26 Läden in Deutschland bezahlen. Ist Adidas pleite? Nein: Allein im vergangenen Jahr hatten die drei Streifen einen Gewinn von zwei Milliarden Euro eingefahren. Macht einen „speechless“.

Von den vielen Aspekten, warum dieses Verhalten eine kommunikative Katastrophe ist, hier nur einer: Sport steht für Teamgeist, fairen Wettbewerb und den unbedingten Willen, eine Herausforderung zu meistern. Adidas hat sein Image in dieser Hinsicht auf Jahre zerstört. Jedem ist jetzt klar: Nicht Team- und Sportsgeist stehen hier auf der Tagesordnung, es zählt allein der Wert der eigenen Aktie. 

Wie aus KFC FCK wurde

Wie geht denn nun gute Krisen-PR? Eine amerikanische Fast-Food-Kette hat vor zwei Jahren gezeigt, wie man es richtig macht: Kentucky Fried Chicken –auch in Deutschland weitverbreitet – konnte seine Restaurants in Großbritannien nicht mehr beliefern, da es Probleme mit dem Nachschub an Hähnchenschenkeln gab. 700 Lokale mussten schließen – zigtausende genervter Kunden entluden ihre Wut im Netz.

Kentucky Fried Chicken – abgekürzt KFC – reagierte mit ganzseitigen Zeitungsanzeigen, in denen ein Portionsbecher mit den Buchstaben FCK zu sehen war – die Abkürzung für „Fuck“. Ein selbstironischer Coup, von dem Adidas viel lernen kann: Der Sportartikelhersteller könnte ja sein „Mieten-Desaster“ mit einer witzigen Kampagne eindämmen: In der zum Beispiel auf großen Bildern oder im Video der Vorstand auf dem Bolzplatz ein „klassisches Eigentor“ schießt.

Kreativität wird zur neuen Krisen-Währung

Man muss aber gar nicht gleich über den großen Teich schauen, um gute Krisen-Kommunikation zu finden. Insbesondere diejenigen, die wahrscheinlich am dramatischsten unter der jetzigen Situation zu leiden haben – Solo-Selbstständige, Einzelhändler, die gesamte Kunst- und Kulturszene sowie die Gastronomie – zeigen hier bei uns um die Ecke, wie man auch mit geringen Mitteln gut kommuniziert. Da bilden sich im Netz Plattformen, auf denen nachzulesen ist, welche Restaurants neuerdings Lieferdienste anbieten. 

Musiker streamen Online-Konzerte und bitten auf charmante Weise um etwas Unterstützung. DJs legen bei sozialen Medien ihre Lieblingsplatten auf. Fitness-Trainerinnen und -Trainer geben auf YouTube einstündige Kurse fürs Wohnzimmer. Fahrrad-Händler werben damit, Kunden am Telefon zu betreuen und das fertige Rad vor die Haustür zu bringen. Die Beispiele sind unendlich, vielfältig und bunt. Was haben sie gemeinsam? Sie geben dem Empfänger der Botschaft das Gefühl: Ich bin für dich da! Und sie strahlen zugleich trotz der unendlich schwierigen Situation Hoffnung, Zuversicht und Freude aus: das Leben geht weiter – vielleicht nur etwas anders.

 

Keine Angst vor der Klassenrevolution

Jetzt wäre zum Beispiel eine gute Zeit für den lokalen Stromanbieter, seinen Kunden einen kleinen Rabatt einzuräumen, damit die ganze Familie mit ihren Smartphones, Pads und Fernsehern beim Streamen immer „volle Power“ hat. Oder der regionale Internetdienstleister bohrt die Leitungen für seine Gewerbekunden ein bisschen auf, damit diese Kunden „rund um die Uhr online“ sein können. Oder der regionale Nahverkehrsanbieter wirbt augenzwinkernd mit der „Klassenrevolution“:In der 2. Klasse gibt es ab jetzt genau so viel Platz wie in der 1. Klasse: es sitzt höchstens ein Fahrgast pro Reihe.

 

Gute Kommunikation nimmt Verunsicherung

Spätestens jetzt taucht aber die Frage auf, was das mit Krisen-PR zu tun hat – ist das nicht einfach Werbung? Dazu muss man zunächst klarstellen, dass der Coronavirus keine Krise im klassischen Sinne einer selbstverschuldeten Situation ist: Hier hat ja erst einmal niemand etwas falsch gemacht, es gibt keinen „Schuldigen“, der sofort Prüfungen einleiten und Fehler einräumen muss. Corona ist in seinen Ausmaßen sicher bislang einzigartig und gleicht eher einer Naturkatastrophe wie dem Hurrikan Katrina, der 2005 ganz New Orleans zerstörte. Die Menschen reagieren aber in beiden Fällen mit Verunsicherung. Gute Kommunikation kann diese Verunsicherung eindämmen oder gar ganz nehmen. Unternehmen und Institutionen können ihren Kunden und Mitgliedern zeigen, dass Verlass auf sie ist: Sie stehen in der Krise fest an ihrer Seite. Und dafür braucht es nicht einmal ein FCK.

 

Carsten Maltzan
ehemaliger Regierungssprecher und Journalist, arbeitet seit 2017 als Freier Berater für boy | Strategie und Kommunikation GmbH im Bereich Pressearbeit und Krisen-PR.

Illustration: Oliver Boy