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Aus einem Virus wird ein Popstar.

Warum Krisenkommunikation Strategie und die richtigen Rollenkonzepte benötigt! Man müsse „die Menschen noch stärker als bisher vom Ernst der Lage überzeugen“ schreibt die Süddeutsche Zeitung am 27. März 2020. Gefordert wird eine „deutschlandweite und transparente Aufklärungs- und Mobilisierungskampagne“. Am Ende des Artikels, den ich mobil lese, zeigt mir ein typisches Bild den nächsten Corona-Artikel: Eine niedliche rote Sonne mit Strahlen, die aussehen wie die Stecknadeln, die in Omas Nadelkissen von früher stecken, steht auf dem aufsteigenden Ast eines himmelblauen Bachs? Das Virus ist platziert wie ein unbedingt anzustrebendes Ziel. In mir steigt der alte Satz „Wende dein Gesicht der Sonne zu, dann fallen die Schatten hinter dich“ auf. 

 

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Seit Beginn der Pandemie beobachte ich die Berichterstattung und analysiere Schlüsselworte und vor allem die Visualisierung. Und genauso lange wundere ich mich darüber, dass in Zeiten, in denen die Wirksamkeit von Bildern hinreichend benannt ist – schon lange gilt: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte! –, das Virus dargestellt wird wie ein niedlicher kleiner Ball, eine Sonne, ein kleiner roter Kaktus, eine Art Stachelbeere, wie ein Pop-Cake. Bildredakteure und Illustratoren machen aus Corona einen Wolf im Schafspelz. Überall sehe ich lustige Bilder, Kunstaktionen. Das geht bis zu Sweatshirts, auf denen das Virus diesmal in Grün abgebildet ist. Kleidsam? Ich weiß nicht.
 
Was passiert da gerade? Aus einem Virus wird ein Popstar. Keine unter Umständen tödliche Krankheit hat es je so weit gebracht wie COVID-19. Mit unzähligen Bildern und täglichen Reporten der Erfolge dieses Virus arbeitet die ganze Welt im Moment an einem Hype mit, der diese Bedrohung für viele Menschen eindämmen soll, aber bislang eher zu einer sozialen Challenge mutiert. Dabei möchte ich hier weder die sicher notwendigen Diskussionen um die Angemessenheit und Wirksamkeit der Maßnahmen angesichts des ganz anderen Umgangs mit Influenza noch die um die Bedeutung für Demokratie und Freiheit führen.

Was hier aber auffällt, ist eine gedankenlose Inszenierung mit schwerwiegenden Folgen: Die Bildsprache verstärkt die Unterschätzung des Virus sicher auch. Teilweise unterstützt sie in ihrer Verherrlichung des Virus zu einem sonnenähnlichen Gebilde all diejenigen, denen Corona eine willkommene Ermahnung der Menschheit, eine Erziehungsmaßnahme gar zu sein scheint. Als würde Gott entgegen dem biblischen Versprechen mit anderen Mitteln die Sintflut wiederholen, damit wir alle zum Nachdenken kommen. So kann man es in verschiedenen Varianten bei den Propheten unserer Zeit, den Zukunftsforschern von Li Edelkoort über Matthias Horx bis hin zu Hartmut Rosa, lesen, auch bei den Klimaaktivisten gibt es solche Stimmen. Klar, dass Greta sich der viralen Umerziehungsmaßnahme der Menschheit unterordnet und in selbst gewählte Quarantäne geht.
 
Der Virus als Chance. Und als Denkanstoß, als Therapie einer Gesellschaft, die eigentlich in einer anderen Krise steckt – ein Narrativ, das von der zwar ein bisschen pieksigen, aber irgendwie doch exotisch-blumig-fruchtigen Visualität profitiert. Und damit die ausgerufene neue Solidarität lediglich zu einem um Barmherzigkeit flehenden Opfer degradiert. Ein Opfer, das wir erbringen, um Schonung zu erlangen. Oder aber zu einer Attitüde, die uns sozial distanzierten, einsamen und vor allem des normalen Lebensrhythmus beraubten Menschen beschäftigt und uns vereint wie die Anhänger eines Gurus.
 
Dazu passt es, dass Virologen zu Predigern werden. Dazu passt es, dass das Virus so ästhetisch ikonisiert wird. Dazu passt, dass alle anderen Themen in den Hintergrund treten. Dazu passt, dass alle nun zu Hause sitzen und Zeit haben, der scheinbar unendlichen Inszenierung auf unzählbaren Bühnen mit den verschiedensten Akteuren zuzuschauen. Selbstwirksamkeit wird reduziert auf gehorsame Untätigkeit.
 
Das messianisch inszenierte Virus trainiert uns in eigennütziger Solidarität und digitaler Kontaktpflege, in neu erblühter Großelternsorge und anderen ethisch korrekten Regungen, zieht uns alle in seinen Bann, verkleinert uns zu Hause den Horizont und wacht Tag und Nacht über uns. Demnächst wird es kleine Anhänger aus Gold und Silber und Koralle geben, die man kaufen kann – 1–3 Euro des Erlöses gehen an die wirtschaftlichen Opfer der Corona-Bewegung. Als Tattoo machte es sich auch ganz gut.

Außerdem bekommen wir schon jetzt eine Legitimation für Krankheiten völlig anderer Art geliefert: Corona liefert schon jetzt eine Erklärung für vieles, was noch auf uns wartet an wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen. Ich erinnere mich noch gut daran, als das Burn-out-Syndrom zur Trenddiagnose wurde. COVID-19 hat eine viel intensivere Öffentlichkeitswirkung. Wofür wird es verantwortlich gemacht werden? Schon jetzt für unrechtmäßige Einstellung von Mietzahlungen durch Adidas und Co. Schicksal, Karma, Corona.

Längst ist das Virus der Held in der Heldenstory. 

Politik und Öffentlichkeit sind Gefährten gegen die wenigen Zweifler, die es im Lager der Virologen auch gibt, die aber mit ihren Geschichten von den Influenzazahlen nicht gegen die übermächtige Inszenierung des Virus ankommen. Böse sind all diejenigen, die sich dem Hype nicht beugen, die zu spät reagieren, zu lange draußen bleiben, die ihre Geschäfte ohne lebenswichtigen Grund offen halten. Jede Heldenstory verbietet Differenzierungen, die den Fluss der Geschichte bei der Heroisierung aufhielten. So auch hier.
 
Man stelle sich vor, das Auto würde hier inszeniert als das Virus der Verkehrstoten. (Im Jahr 2016 kamen weltweit laut offiziellen Angaben der einzelnen Staaten 629.365 Personen im Straßenverkehr ums Leben. Die von der WHO geschätzte Summe der Verkehrstoten beläuft sich auf 1.323.666.) Jeden Tag würde uns der ADAC die neuesten Zahlen berichten. Beim Rauchen ist es zahlenmäßig noch interessanter. 8 Millionen Tote durch Rauchen weltweit im Jahr. Die Zigarette wäre das Keyvisual, die Staatschefs müssten nicht mal aufhören, sie sind halt auch Opfer. Täglich könnte berichtet werden.
 
Was dem Auto und der Zigarette mangelte zu diesem Erfolgszug, hat das Coronavirus: es ist unbekannt, nicht ausreichend erforscht, für den Laien wie für den Wissenschaftler immer noch ein Mysterium. Es kann deshalb viel besser als Projektionsfläche für ideologisierte Zukunftsszenarien dienen. Und es ist – eigentlich – unsichtbar. Menschen können ihm Gestalt geben, es braucht berufene Erklärer, es ist wunderbar instrumentalisierbar. Von jedem.

Corona ist also mit seinem klingenden Namen und der Form eines kleinen Massageballs durch die mediale Viralität seines Narrativs ein aufschlussreiches Beispiel für fehlgesteuerte öffentliche Inszenierung.

Was können wir daraus lernen?

Drei Erkenntnisse für die Kommunikation in Krisen:

01. Den richtigen Helden wählen:  Genau überlegen, wer die Hauptrolle in meiner Story spielen soll. Wer diese Rolle in der Konzeption seiner Kommunikation dem Krisenauslöser überlässt, wird die Krise viel länger am Hals haben. Ebenso wer denjenigen die Bühne überlässt, die nur zusammen mit dem Gegner/der Bedrohung Bedeutung haben. Hier spielen dann auch Bilder eine Rolle.

02. Die Interpretationshoheit behalten:  So schwer das auch immer sein mag in einer viralen Welt, es ist Aufgabe von Führung, die Situation immer wieder zu interpretieren. Wer das den Pressesprechern des Gegners überlässt, weil er Kommunikation für weniger wichtig hält als richtiges Handeln, verliert die Deutungshoheit und schwächt sich und die eigenen Anhänger. Hingegen hilft die eigene Geschichte erfolgreicher Krisenbewältigung genauso wie die Relativierung der eigenen Situation als Kommunikationsinhalt durchaus, im „Driver Seat“ zu bleiben.

03. Die richtigen Rollen anbieten:  Wer mehr Opferrollen zu vergeben hat als Überwinderrollen für gute Gefährten, der wird viel Opferhilfe zu zahlen haben. Wer aber neben einem guten Helden im Kampf gegen einen bösen und auch so böse dargestellten Gegner noch ein paar weitere Heldenrollen bietet, der steht nicht allein da. Allerdings ist die Voraussetzung dafür, dass man vorher bereit ist, die Heldenrolle auch einzunehmen – siehe 1. – mit der dazugehörenden Möglichkeit zu scheitern. Wer Angst hat, öffentlich zu scheitern, dem ist das Virus als unüberwindbarer Held natürlich eine willkommene Besetzung des Dramas und eine Entschuldigung.

 
Wer sagt hier was zu wem?
Wen inszenieren wir?
Wer sind die Guten, wer die Bösen?
Welche Namen und Worte nutzen wir? Welche Bilder?
Welche Werte leiten uns?
Welche Identität können wir zur Begründung der Resilienz der von uns verantworteten Gemeinschaft ins Feld führen? 

Strategische Fragen. Ihre Beantwortung kostet weniger Zeit, als man sich damit an Folgen spart.

 

Bärbel Boy
Strategieberaterin, Unternehmerin, Kommunikationsprofi analysiert die Kommunikationsstrategie, mit der Medien, Politik und Öffentlichkeit dem Virus den roten Teppich ausrollen. Wie Sie das für Ihre Organisation besser machen können, finden Sie als Fazit. 

Illustration: Bärbel Boy